Das Schweigen der Therapeutin

Wir begleiten eine zeitlang die Ich-Erzählerin Tina Korn bei ihren Verrichtungen, ihren Gängen, ihren Sitzungen mit den Klient_innen, ihrem Umgang mit ihrer Freundin und den Begegnungen mit Freunden und ihrer Lehrtherapeutin. Die Sprache ist dialoglastig (wie in einem Comic hieß es in einer Rezension), nüchtern, knapp, beschreibend … eine Handlung nach der anderen wie in einem Protokoll, ohne Emotionen, ohne Innenschau. Die Person fühlt nicht, denkt nicht, plant nicht, bewertet nicht, folgt einem Tagesablauf, sieht, hört, schmeckt, riecht, geht, spricht. Selbst bei den Sitzungen mit ihren schwierigen Klient_innen (die junge Adriana, die sich ständig selbst massive Verletzungen zufügt, der achtjährige Adil, der seit dem Tod seiner Mutter kein Wort mehr spricht, der depressive Simon, der suizidgefährdet ist) erfahren wir nichts über ihre Gefühle oder Überlegungen zu ihren Interventionen. Einziger Hinweis auf ihre Befindlichkeit sind plötzliche Alkoholabstinenz, eine äußere Verletzung, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen … sie sind Ausdruck von etwas Verborgenem.
Lisa Mundt, selbst in Ausbildung zur Psychotherapeutin, beschreibt in ihrem Erstlingswerk Symptome einer posttraumatischen Belastungsreaktion, die Verdrängung und die Therapie (mit einem Heilung versprechenden Durchbruch), wobei das Personeninventar Teile des Selbst-Ausdrucks darstellt. Konzeptuell originell und gelungen, spannend im Aufbau (und nach einem Anfreunden an den gewöhnungsbedürftigen Sprachduktus): lesenswert!

Karin Reitter

Lisa Mundt: Als meine Therapeutin schwieg. 144 Seiten, Milena, Wien 2019, EUR 23,00