Freiwillig in den Höllen der Nazi-Lager
Schwer vorstellbar, dass sich eine 18-Jährige begeisterte italienische Faschistin, Tochter eines Staatssekretärs der Republik von Salò, gegen den Willen ihrer Eltern im Februar 1944 nach Nazi-Deutschland aufmacht. Das Buch von Luce d‘ Eramo ist nicht leicht zu lesen wegen der Härte der behandelten Themen. Ihr gelang es gut die richtigen Ausdrücke zu finden, um das persönlich Erlebte bestens zu schildern. Schwer verständlich macht den Roman die nicht chronologische Reihenfolge.
Die Autobiografie, zwischen 1953 und 1977 verfasst, besteht aus vier Teilen. Es liest sich wie ein psychoanalytischer Prozess. Als Freiwillige im Arbeitslager erlebt sie die Hölle und erkennt mit Entsetzen die Wahrheit über die Lager. Das besondere an ihrem Bekenntnis ist ihr tiefstes Bedürfnis nach Flucht: vor der sozialen Klasse, der sie angehört, vor ihren Ideen, vor der Persönlichkeit, die sie selbst konstruiert hat. Sie erfährt die Existenz von tausend Barrieren und Spaltungen, die die Teilnahme und das Teilen unter den Menschen verhindern. Das Niederschreiben ihrer leidvollen Erfahrungen war ein Prozess, der aus Erinnern, Erfinden, Verdrängen und Vergessen bestand. So geschieht die Wandlung der Faschistin nicht schlagartig, dafür aber nachhaltig. Erst viel später begreift sie, dass sie nicht nur die Wahrheit, sondern auch sich selbst gefunden hat.
Dorothea Schaffernicht
Luce d’Eramo: Der Umweg. Aus dem Ital. von Linde Birk. 474 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2018 EUR 24,70