Nichts ist je vorbei

Chantal Akermans Mutter ist 85 und schon sehr gebrechlich. Sterben will sie nicht. Ihr Moment ist noch nicht gekommen, sagt sie. Sie hat Auschwitz überlebt, redet aber nie darüber. Die Tochter bereitet sich auf den Tod der Mutter vor. Sie versucht, sich selbst ohne sie vorzustellen, aber sie ist noch nicht bereit, loszulassen. Mit fast 60 fühlt sich die Tochter immer noch wie ein altes Kind, dem das Erwachsenenleben zu anstrengend ist. Die Mutter repräsentiert den Ort, an den sie immer zurückkommen kann, um eine Pause vom Leben draußen zu machen. Chantal Akerman protokolliert die ihnen gemeinsam verbleibende Zeit, reflektiert die Mutter-Tochter Beziehung, aber auch ihr eigenes Leben. Sie erzählt von ihrer „chronischen Krankheit“ und den Schlaftabletten, ohne die sie keine Ruhe findet. Sie beschreibt, wie sie als Jugendliche einen Suizidversuch überlebt: „Ich hatte oft Lust, mich umzubringen. Aber ich sagte mir, das kann ich meiner Mutter nicht antun. Später, wenn sie nicht mehr da ist“. Ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter und kurz nachdem sie ihren ebenfalls ihrer Mutter gewidmeten Dokumentarfilm No Home Movie (2014) beim Festival von Locarno präsentiert hatte, beging die belgische Filmemacherin Chantal Akerman Suizid. Meine Mutter lacht ist das schmerzhafte Zeugnis mehrerer Abschiede.

Ute Fuith

Chantal Akerman: Meine Mutter lacht. Aus dem Franz. von Claudia Steinitz. 208 Seiten, Diaphanes, Zürich 2022 EUR 22,70