Traum und Wirklichkeit

Eine elegante Flaneuse in Begleitung ihrer geliebten Dogge und ihres treuen Freunds aus Kindertagen, unterwegs in Europa: das ist das Setting von Joe Lederers Roman. Der Titel „Bring mich heim“ lässt eine klassische Liebesgeschichte erwarten, doch das täuscht. Analytische Beobachtungen der ProtagonistInnen vereinen sich mit den schwebenden Atmosphären von Liebe und Beziehungen verschiedener Prägung. Die Charaktere treten gestochen scharf aus den Konturen von Nobelhotels, Eisenbahnabteilen und Küstenstraßen des frühen 20. Jahrhunderts hervor. Jeannine ist Fotografin und Harald begleitet sie, in heiterer Konkurrenz zu Hund Tommy, ebenso treu, aber weitaus tollpatschiger. Weitere Personen sind ein Schauspieler, dessen Fan und ein entfernter Verwandter aus der Vergangenheit. Nachts wird Jazz gehört, gepflegt getrunken, Herzensgespräche und Schweigen wechseln einander ab. Die Lektüre erweckt Sehnsucht nach einer verschwundenen Zeit vor den totalitären Regimen, die genau solchen Lebensstilen den Kampf ansagten. Großzügigkeit, Freude am Genuss, tief gefühlte Verbindungen, ungeordnete Verhältnisse, Leben als Kunst, Glamour und Fassade: Die Autorin war selbst eine weltläufige, emanzipierte Wiener Jüdin des Jahrgangs 1904, deren Lebensweg sie über Berlin, Shanghai, England schließlich nach München führte. Eine Wieder-/Entdeckung ist absolut angesagt. Spoileralarm: Keinesfalls den Text auf dem Bucheinband vorher lesen, und sich vom Titelbild nicht abschrecken lassen.
Susa
Joe Lederer: Bring mich heim. Mit einem Nachwort von Eveline Polt-Heinzl. 180 Seiten, Milena, Wien EUR 22,00