Heilen
Die Protagonistin Martha in Andrea Winklers neuem Roman „Die Frau auf meiner Schulter“ hat sich in ein altes Haus in einem ländlichen Ort zurückgezogen, um der Härte des Lebens, die sie mit einigen Schicksalsschlägen eingeholt hat, zumindest vorübergehend soweit zu entkommen, dass sie erste kleine Schritte in die Richtung eines Heilungsprozesses machen kann. Die Abgeschiedenheit ist keine vollkommene, da ist die Bahnlinie, an der noch ab und zu ein Zug hält, der eine in die Landschaft hinein, vielleicht sogar in die nächste Stadt tragen kann; da sind die Kurgäste im Sanatorium und nicht zuletzt die anderen Bewohner*innen des Dorfes, deren Geschichten hinter den Türen der Häuser und Geschäfte darauf warten, erzählt zu werden. Erst zögerlich und zufällig, dann bewusster, knüpft Martha leise Bande zu anderen und erfährt sowas wie Gemeinschaft, auch wenn nach allem, was war, vieles offen bleiben muss. In Form von Tagebucheinträgen in klarer, gestochener Sprache dürfen wir eintreten in Marthas Haus, das sie freilich nur auf Zeit gemietet hat. Dennoch ist es schön, dort Gast zu sein und die Welt außen vor zu lassen.
Eva Steinheimer
Andrea Winkler: Die Frau auf meiner Schulter. 190 Seiten, Zsolnay, Wien 2018 EUR 21,60